Fon aus Prag und Berlin
Ende Juni fand der Tschechisch-Deutsche Salon in der Prager Galerie Černá labuť statt. Es kamen dort der deutsche Botschafter Andreas Künne, der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg, der Kunsthistoriker Jiří Fajt und weitere bedeutende Persönlichkeiten zusammen.
Karel Schwarzenberg: Kompromisse auf fremde Kosten? Moralisch fraglich und zwecklos
Der Fürst ergriff das Wort, und es wurde still im Saal. Die Politik ist nicht wesentlich komplizierter geworden, sie ist aber etwas dramatischer geworden, meint der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg. Eine der wichtigsten Aufgaben, die uns bevorsteht, sieht er darin, dass sich Tschechien mit einem irreführenden Gebrauch des Wortes Kompromiss in der europäischen Politik auseinandersetzt.
„‘Man muss einen Kompromiss abschließen‘, höre ich oft und frage dann die Deutschen, die Franzosen und die Italiener, was sie also aus eigenen Ressourcen anbieten“, schildert Schwarzenberg den Anfang vieler Diskussionen. „Wir? Wie kommen Sie dazu…“, heißt es dann in der Regel. „Sie wollen ein Kompromiss, den wollen Sie doch nicht auf fremde Kosten erreichen, oder?“ fragt dann in diesen Gesprächen Schwarzenberg. „Und dann kommt heraus, dass der Kompromiss, den sie sich vorstellen, in dem besteht, dass wir ein größeres oder kleineres Stück der Ukraine abschneiden und es den Russen anbieten, damit sie Ruhe geben“, zuckt er die Schultern.
„Erstens ist das ein moralisch etwas bedenkliches Vorgehen, ‚Kompromisse‘ auf fremde Kosten vorzuschlagen, aber zweitens funktioniert dies überhaupt nicht!“ betont Schwarzenberg und erinnert an die gewaltige militärische Einnahme der Krim und der ostukrainischen Gebiete vom Jahr 2014. „Das folgende Schweigen Europas hat Putin ermuntert weiterzugehen“, stellt Schwarzenberg fest. „Ich kann Ihnen versprechen, sollten wir jetzt einen ‚Kompromiss‘ abschließen, dann wird ein paar Jahre Ruhe sein, und dann wird das nächste Stück beansprucht. Putin wird nicht aufhören, solange er seine Ausdehnungspolitik betreiben kann“, macht Schwarzenberg deutlich.
„Die Krim war die Vorspeise, Donetsk und Luhansk war die Suppe, und jetzt kommt die Hauptspeise - die ganze Ukraine“, erinnert sich der ehemalige tschechische Außenminister, wie er vor einer neuen Aggression Russlands bei einem Vortrag schon vor etlichen Jahren warnte. „Sollten wir die Ukraine oder ihr wesentliches Teil opfern, dann kann ich nur allen europäischen Staaten empfehlen ihre Budgets umzuarbeiten und nicht von 2, sondern 4 Prozent für die Rüstungsausgaben herauszugehen“, sagte er schon damals.
In dem Zusammenhang mit Putins neustem Angriffskrieg hob Schwarzenberg auch die Wörter des amerikanischen Präsidenten hervor. „Biden hat sich als einziger westlicher Politiker getraut die Wahrheit zu sagen: Putin muss besiegt werden. Also kein Kompromiss, er muss besiegt werden, damit diese Versuche stets wieder und wieder ein neues Gebiet zu besetzen endgültig rausgetrieben werden.“
Die zweitwichtigste Aufgabe Tschechiens während der Präsidentschaft wäre eine Reform der EU heranzutreiben, denn die Union, so Schwarzenberg, bedürfe eine Reform so wie sie das alte Österreich im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhundert brauchte um weiterkommen zu können."Die EU braucht eine gemeinsame Verteidigungs-, Außen- und Sicherheitspolitik", zählt Schwarzenberg auf. Der Ausweg: nicht denen zustimmen, die uns das nachgeben raten, sondern jeder Europäer müsse auf seiner Ebene geschlossen und hart sein. „Wir sollten nicht den Fehler von 1938 und 39 wiederholen“, bot Schwarzenberg eine historische Parallele.
Auf die Frage des N&N, ob wir Russland als einen terroristischen Staat betrachten sollten – wie auch die Vorsitzende des tschechischen Abgeordnetenhauses Markéta Adamová dessen Taten vor kurzem bezeichnete – stimmt Schwarzenberg zu. „Ich glaube, die lassen uns keine Wahl“, sagt er. Der russische Botschafter sollte aber trotzdem im Land bleiben. „Das sind sinnlose Gesten, den Botschafter wegzuschicken - man muss im Gespräch bleiben, obwohl wir mit einem verbrecherischen Staat zu tun haben“, verteidigt er seine Meinung, die er bereits im vorigen Jahr äußerte, nachdem es bekanntwurde, dass es der russische Staat war, der hinter den fatalen Explosionen zweier tschechischen Munitionslager vom Jahr 2014 stand.
Andreas Künne: Tschechien kann sich bekanntmachen und seine Einstellung zu Kernenergie verteidigen
Der deutsche Botschafter in Tschechien Andreas Künne, der zuvor u. a. in Kopenhagen, Seoul, Brüssel und Vilnius tätig war, gibt zu, das sein heutiger Dienstort einer der wichtigeren sein mag. Grund dazu: die Ratspräsidentschaft des Gastlands in der Zeit des furchtbaren Angriffskriegs.
Die wirkliche Chance einer Ratspräsidentschaft von einem kleinen Land (auf ‚diplomatisch‘ hieß es „Länder, die nicht so groß sind“), soll in der Gelegenheit bestehen, sich bekanntzumachen. Dabei können die Tschechen den anderen Europäern die Besonderheiten deren eigenen Energiepolitik erklären. Eins mag dabei zusätzlich helfen. „Das Augenmerk ist jetzt sowieso mehr auf der Region als es vor Putins Krieg war“, bemerkt Deutschlands Botschafter. Namentlich könnten die Tschechen den Deutschen in einem beidseitig entideologisierten Austausch erklären, warum sie weitgehend auf Kernkraft setzen, bzw. die Deutschen, wie sie mit der Energiewende weiterkommen wollen.
Im Zusammenhang mit der tschechischen Ratspräsidentschaft gab der erfahrene Diplomat das Beispiel einer guten Ausstellung, die auch keinem „richtig gefallen“ muss, denn, „man wird nie die 27 gleichmäßig zufriedenstellen.“ Die beste Erwartungshaltung sei es, voranzukommen – was dem gelingt, der als ehrlicher Makler wahrgenommen wird.
Und… jede Menge Kultur
Bei dem Tschechisch-Deutschen Salon war längst nicht nur von Politik die Rede. Der bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden tätige Kunsthistoriker Jiří Fajt überbrachte eine Einladung zu der größten Veranstaltung tschechischer Kunst in Europa.
Die Tschechische Saison in Dresden, wie das Projekt genannt wird, will tschechische Gegenwartskultur in einem breiten Spektrum unterschiedlicher Medien und Persönlichkeiten präsentieren. „Wir bereiten ein abwechslungsreiches Festivalprogramm vor, das sowohl Liebhaber klassischer historischer Themen als auch diejenigen anziehen könnte, die sich gern von der experimentellen Kreativität der zeitgenössischen Kunst mitreißen lassen. In unserem Angebot darf natürlich keinesfalls die bildende Kunst fehlen, die das Rückgrat des gesamten Programms bildet, aber wir werden auch verschiedene Theater-, Musik- und Filmprojekte in die an der Elbe gelegene Metropole bringen,“ wie er bereits im Gespräch mit N&N versprach.
Das neue N&N CZECH-GERMAN BOOKMAG erscheint - Tschechen gehen mit Stil an die Spitze Europas
Das N&N Czech-German Bookmag wird Ende Juni anlässlich der tschechischen Präsidentschaft des Europarats veröffentlicht. Und es zeigt, welche Persönlichkeiten aus unserem Land Europa inspirieren können. Das zweisprachige Magazin des unabhängigen Prager Verlags Black Swan Media bietet Einblicke sowohl von tschechischen als auch von deutschen Autoren.
Neben dem bereits erwähnten ausführlichen Interview zwischen der N&N-Herausgeberin Danuše Siering und dem Kunsthistoriker Jiří Fajt enthält es auch ein Interview mit der Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Věra Jourová über die wichtige Rolle der Tschechischen Republik in der Brüsseler Politik in diesem Jahr.
Und da die europäische Politik grundlegend von der russischen Kriegsaggression gegen die Ukraine beeinflusst wird, stellt N&N auch die Ansichten von Verteidigungsministerin Jana Černochová vor, die sich durch ihre rasche Unterstützung der ukrainischen Armee den Respekt ihrer europäischen Kollegen erworben hat.
Die deutsche Politikwissenschaftlerin Barbara von Ow-Freytag erläutert die derzeitige schwierige Lage in Mitteleuropa in einem größeren Zusammenhang. Und für die tschechische Seite reflektiert Michael Žantovský, Direktor der Václav-Havel-Bibliothek, über die Bedeutung der Bereitschaft, für die Freiheit zu kämpfen.
Der Leser wird mit interessanten Artikeln über die Kunst des Essens entführt, die von ernsthaften bis hin zu unterhaltsamen Themen reichen. Von der aristokratischen Vergangenheit bis zur Gegenwart, den Unterschieden zwischen der tschechischen und der deutschen Etikette sowie den nationalen Köstlichkeiten und Süßigkeiten erfährt der Leser von den Knigge-Experten Milan Svoboda und Daniel Šmíd oder dank der Fotografien von Kateřina Sýsová.
Im Editorial des 150-seitigen Magazins, das auch Fotografien von Bára Prášilová, ein Interview mit der Leiterin des Berliner Büros von Sotheby's, Joëlle Romba, und ein Interview mit dem deutschen Botschafter in Prag, Andreas Künne, enthält, schreibt bookmag-Redakteur Jan Müller: "Unsere Texte sind wie Slow Food - liebevoll zubereitet und nahrhaft, man muss sich nur Zeit nehmen."
Und Danuše Siering erinnert in ihrem Essay an das Gedicht von John Donne "No Man is an Island". Wenn das Meer einen Klumpen wegspült, ist Europa kleiner, als wäre es ein Umhang, als wäre es der Hof deiner Freunde oder dein eigener."
Kurzum, die zweisprachige N&N richtet sich an aufmerksame, weltoffene Leser, die wissen, dass die tschechisch-deutschen Beziehungen von entscheidender Bedeutung waren, sind und sein werden.
N&N Czech-German Bookmag kann in Berlin, Dresden und Bratislava erworben werden. In der Tschechischen Republik wird es am 30. Juni in den Regalen aller großen Buchhandlungen wie Luxor, Kanzelsberger und Dobrovsky erscheinen. Sie können es auch über das Albatros-Verlagsportal bestellen.
EIN KULTURFÜHRER FÜR DEN SOMMER IN PRAG UND BERLIN
N&N Czech-German Bookmag hat für den Sommer einen Kulturführer für die tschechische und deutsche Hauptstadt erstellt. Im Mittelpunkt stehen das internationale Skulpturenfestival Sculpture line, die Kunstausstellung SUMO Prague und das Festival Prague Art Week, das in der Tradition der Wiener und Berliner Kunstwochen steht. Die Gruppenausstellung mit dem Titel "We come in peace - dressed in black, ready to cuddle" präsentiert junge progressive Künstler aus Berlin.
Das Kunstgewerbemuseum in Prag stellt die Werke des Glaskünstlers Martin Janecký aus.
In der Berliner Galerie Kühlhaus wird eine Ausstellung mit Mischtechniken von David Strauzz vorbereitet. Im Gebäude des Tschechischen Zentrums in Berlin können Sie herausfinden, wie das Unternehmen in der deutschen Hauptstadt aufgetreten ist. Maxim Havlicek, ein amerikanisch-tschechischer bildender Künstler, der abwechselnd in Prag und Los Angeles lebt und arbeitet, wird seinen Dokumentarfilm No Time Left in der Ausstellung bei Sotheby's am Janáček-Ufer präsentieren: The Impact of a Communist Upbringing" (Die Auswirkungen einer kommunistischen Erziehung), in dem er über seine Beziehung zur Tschechischen Republik und die Unterschiede zwischen den beiden kulturellen Hintergründen nachdenkt.
Gemeinsam mit dem Team von Black Swan Media wünschen wir Ihnen eine angenehme Lektüre und einen erlebnisreichen Sommer!
Tschüß & Ahoi!
Danuše Siering
Herausgeberin von N&N Czech-German Bookmag